Was mich im Moment bewegt, ist die Wirkung der Feldenkrais-Arbeit – oder ähnlicher Formen von Bewusstseinsarbeit – auf gesellschaftlicher Ebene.
Heute telefonierte ich mit einer Freundin aus Brüssel, die mir folgende Anekdote erzählte:
„Ich lief durch eine sehr volle Einkaufsstraße. Eine junge, verschleierte Frau hatte ihr Handy am Ohr, sprach extrem laut und hörte gleichzeitig Musik. Das war so belastend für mich, dass ich auf sie zuging und sie – ganz bewusst sehr höflich – bat, ob sie die Lautstärke vielleicht etwas reduzieren könne.
Sie zeigte mir den Stinkefinger und schleuderte mir entgegen, dass es ihr völlig egal sei. Ich war erschrocken und geschockt über diese Heftigkeit und Wut – entschied mich aber, tief durchzuatmen und nicht weiter darauf einzugehen. Ich blieb sogar vor einem Schaufenster stehen, um ihr die Gelegenheit zu geben, vorauszugehen und etwas Abstand zwischen uns entstehen zu lassen.
Zu meiner großen Überraschung stand sie plötzlich neben mir und entschuldigte sich für ihr Verhalten. Sie hatte angenommen, dass ich sie wegen ihres Schleiers kritisieren wollte, und war deshalb sofort in die Defensive gegangen. Ich verstand, dass sie vermutlich oft abwertende Bemerkungen wegen ihrer Kleidung bekommt. Sie sagte, sie sei erstaunt gewesen, dass ich nicht wütend reagiert hatte – und deshalb wolle sie sich jetzt entschuldigen. Ich war sehr berührt, bedankte mich und nahm ihre Entschuldigung an.“
Meine Freundin meditiert regelmäßig – für sie war es selbstverständlich, in dieser Situation bei sich selbst zu bleiben. Sie hat gelernt, sich durch ihre Praxis immer wieder mit den eigenen inneren Reaktionen auseinanderzusetzen. Durch ihre besonnene Reaktion – ihre Höflichkeit und das bewusste Nicht-Reagieren mit Wut – hat sie ihrem Gegenüber die Möglichkeit gegeben, ihr eigenes Verhalten zu reflektieren und einen Schritt auf sie zuzugehen. Vielleicht geschieht das nicht immer so unmittelbar, aber wir wissen oft nicht, welche Wirkung unser Verhalten auf andere hat. Manchmal braucht es Zeit – und die Wirkung zeigt sich erst später, vielleicht in einer neuen Begegnung. Es ist, als würde man einen Samen pflanzen.
Feldenkrais® ist keine Meditation im klassischen Sinn, doch beiden Ansätzen ist die Praxis der Selbstbeobachtung gemeinsam. Man wird sich zunehmend bewusst über den „Kipppunkt“ – jenen entscheidenden Moment zwischen Impuls und Handlung. Man lernt, diese Reaktionskette zu verlangsamen – und gewinnt dadurch einen kleinen, aber bedeutsamen Freiraum der Wahl.
Gesellschaftlicher Wandel und Friedensarbeit müssen natürlich auch auf politischer Ebene stattfinden. Aber wenn wir in unseren alltäglichen Begegnungen – in unseren Familien, in der Nachbarschaft oder einfach auf der Straße – mit mehr Bewusstsein und innerer Präsenz in den Austausch gehen, hat das eine Wirkung.
Wir können entscheiden, wie wir uns verhalten. Und auch wenn es uns nicht immer gelingt – wir können es üben.
Wir können und sollten die Verantwortung für unser Verhalten übernehmen. Es braucht regelmäßige Praxis. Aber sie verändert etwas – in uns und um uns. 😊
Food for thought,
Olivia
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