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Ein neues Jahr!

„Es ist zu spät, allzu spät;

zu spät zum Tanzen.

Und doch, sing, was du nur kannst.

Dreh die Lichter auf: Sing weiter,

sing: Weiter.“

 

– Auszug aus „Späte Gedichte“ von Margaret Atwood

(irgendwo zwischen 2008 und 2019)

 

 

Ich bin fast 60 Jahre alt und betrete den dritten Abschnitt meines Lebens. Es ist also spät, wie Margaret Atwood bemerkt, aber umso mehr Grund, noch nicht mit dem Singen aufzuhören. Heute steht meine eigene Vergänglichkeit im Kontext des möglichen Aussterbens der Menschheit und der natürlichen Welt durch verschiedene Faktoren wie den Klimawandel, die Zerstörung von Lebensräumen, den Wahn des unaufhörlichen Wachstums, die biotechnologische Revolution und andere menschliche Aktivitäten. Auch hier ist es sehr spät. Ich bin fasziniert, geradezu besessen, von der Frage, warum es der Menschheit scheinbar nicht gelingt, diese Herausforderungen zu bewältigen, und was dafür erforderlich wäre. Eine Wurzel des Problems sehe ich in der Beharrlichkeit, unsere Vergänglichkeit zu leugnen.

 

Eine grundlegende Wahrheit des Lebens lautet: Nichts bleibt so, wie es ist. Veränderung ist die Essenz unseres Daseins. Immer wieder befasse ich mich in meinen Projekten mit dem Tod, genauer gesagt, das Sterben als einem inhärenten Bestandteil des Lebens, und unsere Angst davor.

Das Leben ist durchwoben von Tod, da jede Veränderung ein Sterben von einem Zustand in die Geburt eines anderen Zustands bedeutet: ein unausweichliches Verrinnen von Momenten. Dieser ständige Prozess des Wandels ist für die meisten von uns eine Herausforderung. Verzweifelt kämpfen wir dagegen an und versuchen uns in diesem Strom und Strudel der Vergänglichkeiten an einem Stein oder einem Ast festzuhalten. Wir haben eine große Sehnsucht nach Gewissheit, nach Halt, nach Sicherheit, nach etwas Stabilem. Wir belasten uns mit materiellem Besitz; mit sämtlichen Versicherungen versuchen wir für jedem Schicksalsschlag vorzusorgen; mit Gesetzen und Mauern schützen wir unseren Reichtum und unsere Privilegien, unsere Kulturen, unsere nationalen Identitäten; mit Schönheitsoperationen negieren wir den Verlust der Jugend, …

Wir wollen nicht sterben, wir möchten nicht verschwinden, und wir wünschen uns, dass nichts sich ändert. Dies schwächt uns und unsere Fähigkeit, angemessen auf die Herausforderungen unserer Zeit zu reagieren.

 

Unsere Persönlichkeit setzt sich aus vielen Identitäten zusammen und befindet sich in kontinuierlichem Wandel. Wir werden von einem Strom von Begegnungen geprägt, und obwohl wir ein Leben lang nach unserem wahren Ich suchen, bleibt unsere Identität äußerst fluide.

Novalis sagte: „Jeder Mensch ist eine kleine Gesellschaft.“

 

In meinem Projekt SPACE CRONE beschäftige ich mich mit der überwältigenden Vielfalt der verschiedenen Facetten, die in jedem von uns existiert. Wie erleichternd wäre es, sich zu entspannen und sich vom Fluss des Lebens treiben zu lassen, ohne sich festlegen zu müssen, ja sogar die Verwandlungen zu begrüßen.

 

Ich lade dazu ein, über die eigene Veränderlichkeit nachzudenken und zu erkennen, dass es nur im gegenwärtigen Moment möglich ist, die Welt zu gestalten und vor allem die Wirklichkeit zu leben.

 

Food for thought! Und frohes neues Jahr!

Olivia

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